TEIL II des Romans "Schwarze Asche auf Kirschblüten - Die Dämonen von Kyôto"

LESEPROBE TEIL II "SCHWARZE ASCHE AUF KIRSCHBLÜTEN

DIE DÄMONEN VON KYOTO

VORWORT

 

 

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

vielleicht haben sie, genau wie ich, darauf gewartet, dass TEIL II endlich fertig wird. Nun liegt er vor und glauben sie mir, es wird wieder sehr spannend werden.

 

 

 

Unser Held TOZAWA oder FURUKAWA Shirô hat erneut viele schwierige Aufgaben zu bestehen. Nachdem er dem achten Seii Taishôgun ASHIKAGA Yoshimasa eröffnete, dass seine Gemahlin in die Machenschaften des Pfandleihers TAKAHASHI verwickelt ist und Spekulationen mit Reis sowohl an der Kyôtoer, als auch an der Reisbörse in Ôsaka vornimmt, erhielt er den Auftrag, die verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Aufgabe, die schwerwiegende Folgen für das Privatleben des Kommandanten der Leibgarde des Shôgun nach sich zieht. Völlig unerwartete Verwicklungen führen zu einer Entscheidung, die wohl keiner von ihnen erwartet.

 

 

 

Neue Helden treten auf, die uns die mystische Seite des Shinobijutsu vor Augen führen. Meister AKIYAMA fasziniert nicht nur die Romanfiguren, sondern sorgt auch bei uns Lesern dafür, dass sich das eine oder andere Mal Erstaunen in unsern Gesichtern abzeichnet. Eine sehr mystische, aber auch gleichzeitig fragwürdige Gestalt zeigt sich in dem großen Magier Luo Xi. Was es mit ihm auf sich hat wird in diesem Teil leider nur angedeutet. Wer wissen möchte, was sich hinter dieser Person verbirgt, der muss leider bis zum TEIL III der Saga warten.

 

 

 

Wir erfahren erneut viel Interessantes über Japan, seine Mythologie und das Leben in der Muromachi- Zeit/ Muromachi- jidai. Sie werden sehen, wie sehr das Leben der Japaner von diesem Mythen beeinflusst wird. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei den folgenden einzelnen Kapiteln.

 

 

 

Ihre

 

Kerstin Lucas

 

 

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

 

Bitter süße Rache                                                                                                               1

Eine Hochzeit                                                                                                                  328

Der Neuanfang                                                                                                               522

Shirôs Haus                                                                                                                     688

Akatsukis Einsatz                                                                                                            844

Fuji no hanas Ausbildung                                                                                           1260

Das Kirschblütenfest                                                                                                   1315

Politisches Chaos                                                                                                         1353

 

 

 

AKATSUKIS EINSATZ

 

 

 

Nachdem sich die Schausteller- Gruppe im November bis nach Kyôto durchgeschlagen hatte, verließen die vier Frauen und Akatsuki Kyôto in Richtung Süden. Sie trugen bunte Kimonos  und waren stark geschminkt, wie es bei Tänzerinnen üblich war. Yuki und Akatsuki spielte Flöte. Kaori, die  eine sehr schöne Stimme ihr Eigen nannte, sang zur Musik der Flöten. Sayuri war ein bildhübsches Mädchen, das sich sehr gut zu bewegen wusste. Fumiko hingegen war keck, sie fiel durch ihr offenes, freches Verhalten auf, was auf Männer besonders anziehend wirkte. Die Männergruppe bewegte sich im Abstand zu ihnen. Sie waren als Bauern verkleidet. Für nicht eingeweihte war keines Falls ersichtlich, dass die beiden Gruppen zusammen gehörten. Schon in den Dörfern, die auf ihrem Weg lagen, zeigten sie ihre Kunststücke und führten Tänze auf. Das war eine gute Möglichkeit, ihr Zusammenspiel zu trainieren. Kazenojôba war die Attraktion schlechthin und die Tatsache, dass das Pferd Mochiküchlein mochte, brachte viele der Zuschauer zum Lachen. Akatsuki dachte sich immer verrücktere Sachen aus, die er auf dem Rücken des Pferdes vollführte. Er bekam sehr viel Applaus und wenn er mit dem kleinen Körbchen herum ging, um Geld einzusammeln, waren die Menschen sehr spendabel. Die Kinder juchzten, als Akatsuki sie mit Kazenojôba reiten ließ. Auf diese Weise verfügten sie jeden Abend über genug zu Essen und konnten sich öfter eine ordentliche Unterkunft gönnen. Die Männer lebten von Trockenreis, Nüssen und gönnten sich ab und zu eine warme Nudelsuppe.

 

Das herbstliche Wetter machte ihnen nach zwei Tagen zu schaffen. Es regnete öfter und sowohl die Männer, als auch die Frauen wurden bis auf die Haut nass. Yuki entschied, dass sie ein paar Tage in einem Ryokan unterkommen sollten, um die Sachen wieder trocken zu bekommen. Sie gaben eine Veranstaltung, bei der sie mit der Männergruppe anbandelten und sie anschließend mit auf ihre Zimmer nahmen. Der Wirt war zwar anfangs dagegen, aber mit viel Überredungskunst und einer extra Darbietung für seine Gäste eines Abends, war er wieder milde gestimmt. Die Männer waren dankbar für ein trockenes Plätzchen für die Nacht. Eines Abends nahm Yuki Akatsuki bei Seite, um  mit ihm ein paar ernsthafte Worte zu wechseln.

 

Akatsuki bitte höre mir jetzt genau zu. Wenn wir als Gruppe  irgendwie getrennt werden, dann haben wir verabredet, dass wir uns am Hata jinja Schrein oder im Kumeda ji Tempel treffen. Dort solltest du auf jeden Fall drei Tage warten, ehe du weiter ziehst. Sollte sich nach sechs Tagen niemand in den Tempeln melden, dann gehst du über Sakai nach Kyôto zurück und meldest dich bei Ryô und Shun. Sie werden dir weiter helfen. Du darfst auf keinen Fall versuchen, direkt in unser Dorf zu gehen. Es ist bald Winter und allein schaffst du es nicht über die Berge. Die Pässe sind ab November unpassierbar und du hast kein Essen und keinen Platz zum Schlafen. Also versprich mir, dass du dich an meine Anweisungen hältst. Versprich es!“

 

Akatsuki nickte und sagte dann: „Du kannst dich auf mich verlassen, ich verspreche es!“

 

„Noch etwas, wenn wir in der Burg sind, dann werden die Männer am späten Abend an der Außenmauer hochklettern und die Wachen außer Gefecht setzen. Wir bleiben immer im Burghof und führen unsere Kunststücke vor. Wenn ich mir diesen roten Schal hier in mein Haar binde, dann droht Gefahr Akatsuki. Egal, was um dich herum passiert, steigst du auf dein Pferd und reitest durch das Burgtor bis zum Hata jinja Schrein. Du lässt dich durch nichts aufhalten, hörst du?“

 

„Und was wird mit euch?“

 

„Das ist uninteressant, du wirst mir gehorchen Akatsuki ansonsten wird die Strafe für dich sehr unangenehm ausfallen. Ich kann mich im Notfall nicht mehr um dich kümmern, du musst absolut allein klar kommen. Du bist inzwischen groß genug und hast mit Großvater viel trainiert. Ich muss mich auf dich verlassen können.“

 

„Ich verspreche dir, ich halte mich an deine Anweisungen.“

 

Atsushi, der mit auf Yukis Zimmer wohnte, hatte für alle Nudelsuppe bestellt. Eine Dienstmagd brachte die dampfenden Schüsseln. Die drei saßen im Seiza beisammen und verschlangen die Suppe mit Heißhunger. Akatsuki hatte seit drei Tagen nichts Richtiges mehr im Magen gehabt. Sie waren zwar in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet worden, mehrere Tage ohne Essen auszukommen, aber mit gefülltem Magen lebte es sich eindeutig besser.

 

Yuki, was ist eigentlich mit den Truppen von HOSOKAWA, HATAKEYAMA und YAMANA. Weißt du, wo sie lagern werden?“

 

„Sie lagern am Shipporyu ji Tempel, am Inuakisan. Auf der anderen Seite ist der Kamo- Schrein. Sie sind in den Wäldern verborgen und warten auf das vereinbarte Zeichen, ein Feuer im Hauptturm. Der Sturm auf die Burg ist für den 19. Dezember vorgesehen.“

 

„Der Shôgun hat für dieses Unterfangen eine ungünstige Zeit ausgewählt. Im Dezember liegt auch in den unteren Lagen Schnee zur genüge. Es ist ganz schön hart für die Truppen so lange Zeit im freien zu lagern. Das trägt nicht besonders zu einer guten Kampfmoral bei. Außerdem sieht man die Wärmefeuer weithin, weil die Bäume kahl sind.“

 

„Ich vermute, da steckt HOSOKAWA dahinter. Er wird den Shôgun zur Eile gedrängt haben, weil er die Streitigkeiten zwischen den Familien des Hatakeyama- shi- clans beendet sehen wollte. Aus dem Hatakeyama- shi- clan kommt der nächste Kanrei, der Stellvertreter des Shôguns. Außerdem ist YAMANA Sôzen dieser Clan ein Dorn im Auge. Er ist froh, dass sie sich gegenseitig zerfleischen, weil ansonsten er keine freie Handhabe gegen seinen Schwiegersohn Katsumoto hat.“

 

Atsushi, Torah und Hata fanden sich zu einer letzten Besprechung zusammen. Sie diskutierten die Wege, die sie bis zum Hauptturm nehmen wollten. Die Burg war von einem Wassergraben umzogen, der nicht besonders breit war. Ihn zu durchschwimmen war kein Problem für die Männer. Viel mehr machte ihnen die Tatsache zu schaffen, dass es Vollmond sein würde in der Nacht vom 18. Dezember auf den 19. Dezember. Diese Nacht würde also sehr hell sein, denn der Vollmond im Dezember zeigte eine besondere Leuchtkraft. Sein hellblaues Licht strahlte die Burg an, als sei sie mit Laternen ausgeleuchtet. Sie entschieden sich daher für die Besteigung der Mauer von der rückwärtigen Seite her, also auf der gegenüberliegenden Seite des Haupttores. In diesem Bereich lag auch ein dichter Wald, dessen Bäume zwar kein Laub mehr trugen, aber das Unterholz war sehr dicht, während im Bereich des Haupttores das Unterholz aus dem Wald entfernt wurde, um eine gute Sicht, auf eventuell zu erwartende Feinde zu haben. Der Hauptturm war immer am besten bewacht, denn er bot einen weiten Blick auf die umliegende Landschaft. Aber er war aus Holz gebaut, so dass mittels Brandpfeilen durchaus eine gute Möglichkeit bestand, den Turm, wie vereinbart in Brand zu stecken. Sie mussten nur nahe genug heran kommen. Daher mussten die Wachen auf dem Umlauf ausgeschaltet werden. Der Umlauf war bei der Burg Dakeyama jedoch geschlossen und wies nur ein paar Bereiche auf, wo die Wachen sich außerhalb des Wehrgangs befanden. Außer den schmalen Schießscharten boten die Wehrgänge keine Möglichkeit, ins Innere der Burg zu gelangen. Die Schießscharten waren jedoch zu schmal für einen erwachsenen Mann.  Zudem musste man davon ausgehen, dass sie immer mit Bogenschützen besetzt waren, die die Umgebung im Blick hielten. Hier mussten sie mit der Fukiya arbeiten, denn näher als drei Meter kamen sie kaum an die Samurai heran, ohne entdeckt zu werden. Das Ziel war, das wenigstens einer den Turm erreichte, um ihn in Brand zu stecken. Gefangennahme kam nicht in Frage, darüber waren sie sich einig. Jeder von den dreien hatte eine Kapsel mit Gift dabei, um einer Gefangennahme aus dem Wege zu gehen. Atsushi war der Jüngste unter ihnen. Seine Schnelligkeit war ein großer Vorteil, er war in der Lage, mit den Shukô am schnellsten zu klettern. Auf ihn ruhten die größten Hoffnungen, dass er es schaffen würde. Sie hofften, dass die Damen ihre Arbeit gut machen würden, die Wachen abzulenken und ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Tänze und anderen Darbietungen zu lenken. Als sie alles abgesprochen hatten, legten sie sich schlafen, um für den Einsatz ausgeruht zu sein. Am 17. Dezember 1460 begaben sie sich alle in die Nähe der Burg Dakeyama. Dann teilte sich die Gruppe. Die Männer umrundeten im weiten Bogen die Burg, um an die Rückseite zu gelangen und die Frauen und Akatsuki mit seinem Pferd blieben in der unmittelbaren Nähe des Haupttores. Sie probten, so dass die Samurai die Musik und das Lachen deutlich hören konnten. Diese Taktik, die darauf abzielte, irgendwann als Gaukler Zutritt in den Innenbereich der Burg zu erlangen, nannten die Shinobi Yojajutsu. Es dauerte auch nicht lange, da kam eine der Patrouillen zu ihnen, um zu sehen, was sie da veranstalteten. Sie schauten eine ganze Weile interessiert zu und kamen schließlich zu Yuki, um sie zu befragen.

 

„He Weib, was führt ihr so vor?“

 

„Wir tanzen, singen, führen kleine Theaterstücke vor und unser kleiner Freund hier kann viele Kunststücke auf dem Pferd vorführen.“

 

„Sieh an“, sagte der ältere der beiden Samurai.

 

„He Kleiner, zeig doch mal was du auf dem Pferd so alles kannst.“

 

Akatsuki ließ sich nicht lange bitten und legte los. Die Männer kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der jüngere der beiden Samurai hatte ein Auge auf Sayuri geworfen und warf ihr heiße Blicke zu. Sayuri lächelte schüchtern und widmete sich weiter ihren Übungen, um ihren Körper geschmeidig zu halten.

 

„Du bist ganz schön beweglich meine süße kleine Schönheit. Bist du in der Liebet auch so?“

 

Die beiden Samurai lachten sich über ihren eigenen Scherz kaputt.

 

„Wir sind Künstlerinnen meine Herren und keine Kurtisanen. Wenn sie uns nun entschuldigen würden, wir müssen weiter üben. Wir wollen morgen weiter und in das nächste Dorf ziehen.“

 

„Ihr wollt uns verlassen, ohne euer Können in der Burg gezeigt zu haben? Wir werden unseren Kommandanten fragen, ob ihr für uns alle nicht eine Sondervorstellung geben könnt, ehe ihr weiter zieht.“

 

„Aber das kostet eine Kleinigkeit, das ist euch doch wohl klar“, sagte Fumiko barsch.

 

„Na du bist mir ja eine ganz Schlaue“, sagte der ältere der beiden Samurai, was von Fumiko mit einem breiten Grinsen beantwortet wurde.

 

„Dann geht euren Vorgesetzten fragen, ob er an einer Vorstellung interessiert ist und gebt uns Bescheid. Wir sind sicherlich nicht abgeneigt, denn die Nächte hier draußen sind ganz schön kalt und daher würden wir ein warmes Feuer im Innenhof durchaus vorziehen.“

 

Die beiden Samurai trotteten davon und man hörte sie noch eine ganze weile lachen. Wer weiß, was für schmutzige Witze sie sich gerade über die Mädchen erzählten. Die Frauen kannten diese derbe Art der Ji- Samurai und Ashigaru durchaus und maßen diesem Gehabe nicht viel bei. Sie trainierten weiter. Yuki spielte auf der Flöte und Kaori sang eine wunderschöne Ballade über die Liebe.

 

Nach einer Weile kamen die beiden Wachposten zurück und bauten sich breitbeinig vor den Frauen auf.

 

„Unser Kommandant ist einverstanden damit, dass ihr morgen Nacht eine Vorstellung geben könnt, da ist Vollmond und in solchen Nächten sind Lieder über die Liebe besonders Willkommen. Hier, das soll ich euch als Lohn geben, ich hoffe, das reicht.“

 

Yuki nahm den Lederbeutel entgegen und schaute hinein. Ihre Augen wurden groß, in dem Beutel befanden sich drei RYÔ in Gold. Das war eine sehr große Summe. Offensichtlich hatten die beiden Wachsamurai eine gute Werbung für ihr Auftreten gemacht. Am  Abend des 19. Dezember zogen die Frauen und Akatsuki mit dem Pferd vor das Tor der Burg Dakeyama und baten um Einlass. Als die Wachen das Tor wieder schließen wollten, sagte Yuki: „Oh, wenn es möglich ist, dann lasst doch bitte während der Aufführung das Tor offen, weil unser kleiner Freund mit dem Pferd eine Übung zeigt, bei der er im vollen Galopp auf dem Rücken des Pferdes freihändig reitet. Die Strecke für einen Galopp wäre sonst zu kurz.“

 

„Da muss ich erst den Kommandanten fragen, nicht wahr?“, sagte er und ging zu seinem Vorgesetzten. Er diskutierte mit dem stattlich aussehenden Samurai eine Weile herum, bis dieser nickte und Zeichen gab, das Tor offen zu halten.

 

Es war die Stunde des Hahns- 19 Uhr, als die Frauen mit ihrem Programm begannen. Sie führten zunächst eine Sage auf, bei der Yuki in den Kleidern eines Jägers auftrat. Sie tat so, als pirsche sie durch das Unterholz und suchte nach einem Tier, das sie erlegen konnte. Fumiko übernahm die Rolle eines Jagdhundes und saß brav neben ihrem Herrn und hechelte ihn freudig an, als es zur Jagd ging. Dann auf einmal bellte sie wie verrückt los und Sayuri ahmte das Zischen einer Schlange nach und spielte die Schlange auch, die sich vor dem Jäger wand, um ihn anzugreifen. Der Hund bellte und bellte, so dass die Schlange genervt das Weite suchte. Der Jäger wurde dank des Hundes gerettet. Die Samurai klatschten Beifall, denn fast jeder aus der Region kannte die Legende des Inuakisans, des Berges, auf dem sich diese Legende zugetragen hatte.

 

 

 

Die drei Männer schwammen durch den eiskalten Wassergraben. Jeder von den dreien hatte ein Mizutsutsu- ein Holzrohr, durch das man unter Wasser atmen konnte, ohne je an die Oberfläche kommen zu müssen. Atsushi hakte als Erster seine Shukô in die Spalten der Felssteine auf der anderen Seite der Burg ein und zog sich Stück für Stück die Mauer hinauf. Ab und zu legte er sich flach an die Mauer, um für die Augen der Wachen im oberen Wehrgang kein Angriffsziel darzustellen. Atsushi kroch unmittelbar in der Nähe des Hauptturmes empor. Alle Männer trugen dunkle Anzüge, hatten den Kopf mit Tüchern umwickelt und ihre Augenpartien und die hellen Hände mit Ruß beschmiert, um bei dem hellen Mondlicht nicht eine Zielscheibe abzugeben. Torah bewegte sich bedächtig im Zentrum der Mauer nach oben. Er hatte in seiner Innentasche zahlreiche Endoku ken- Wurfsterne, die mit giftigem Rauch gefüllt waren. Diese wollte er in die Schießscharten werfen, um in den engen und niedrigen Wehrgängen für Unruhe zu sorgen. Hata kletterte ziemlich am Anfang der Mauer empor. Er trug eine Baku Katsu Gama- eine Eisenkette, an der an einem Ende eine Sichel befestigt war und sich am anderen Ende Blendpulver in einem kleinen Behälter verbarg, in seiner Jacke. Immer wieder verschmolzen die Männer mit dem Mauerwerk und warteten geduldig, bis sie wieder ein Stück höher kletterten. Alles bedächtig, überlegt und langsam. Als sie auf der Hälfte ihrer Strecke waren, fing es an zu schneien. Erst fielen nur vereinzelt Flocken, aber dann wurde es immer dichter. „Wie günstig“, dachte Hata. Bei diesem Wetter konnten sie die Taktik „Ame Tori no Jutsu“, die Kunst der Vögel im Regen, anwenden. Dahinter verbarg sich die Tatsache, dass die Wachen bei schlechtem Wetter lieber im Innenbereich der Wehrgänge blieben und seltener nach draußen kamen, also wie die Vögel auf den Zweigen unter dem dichten Blätterdach hockten. Atsushi war bereits sehr weit gekommen, ruhte sich nun aus, um über ausreichend Kraft für die Endphase zu verfügen. Erst als sich sein Atem wieder beruhigte, kletterte er weiter. Seine nasse Kleidung fing an von dem eisigen Wind zu gefrieren und die Bewegungen wurden immer schwerfälliger, weil der Stoff steif wurde. Er verfluchte mehrfach den Shôgun insgeheim für seine Kurzsichtigkeit bei der Auswahl des Angriffsdatums. Torah passierte nun endlich den Bereich, in dem sich die hölzernen Wehrgänge anfanden. Auch er lauerte auf eine günstige Gelegenheit, um sein Werk zu vollenden. Hata lauerte unterhalb eines offenen Bereiches im Wehrgang. Bereits zweimal war einer der Wachen über ihm entlang gegangen, hatte sich über die Mauer gebeugt, ihn aber nicht wahrgenommen.

 

 

 

Die Frauen wussten, dass es nun langsam Zeit wurde, die freizügigeren Tänze aufzuführen, denn die Männer mussten nun bereits in der Nähe der Wehrgänge sein und die Aufgabe würde sich bald dem Ende neigen. Sayuri begann eine Vorführung, bei der sie sich teils tänzerisch, Teil akrobatisch bewegte. Sie verbog ihren Körper derart, dass die Samurai immer näher an den Bereich des Feuers rückten, um auch alles richtig sehen zu können. Sie grölten und johlten und ein jeder malte sich aus, wie es wäre, diese Frau für eine Nacht zu besitzen. Der Kommandant untersagte zwar den Genuss von Alkohol strickt, weil man jeder Zeit mit dem Angriff der Truppen von HOSOKAWA rechnete, aber wie das immer so ist, aus den Augen aus dem Sinn und so wanderten kleine Sakeflaschen heimlich von Samurai zu Samurai.

 

Fumiko schlug nun die Handtrommel und Akatsuki blies die kleine Bambusflöte. Die Samurai klatschten im Takt der Musik, wodurch jeglicher andere Lärm geschluckt wurde. Als Kazenojôba auch noch anfing zur Musik zu tänzeln, war die Hölle los. Die Samurai waren so begeistert, dass sie selbst begannen wie die Affen herum zu hopsen und tanzähnliche Bewegungen zu veranstalten. Akatsuki musste sich sehr zusammenreißen, um nicht laut los zu lachen. Kazenojôba erfreute sich an dem regen Interesse seiner Darbietungen und fühlte sich befleißigt noch mehr tänzerische Leistungen zu zeigen, woraufhin der Innenhof der Burg zu einem Tollhaus wurde. Yuki tanzte nun ebenfalls mit und zeigte einen derben Bauerntanz, bei dem sie mit den Füßen auf den Boden stampfte und in die Hände klatschte. Die betrunkenen Samurai stampften und grölten mit, so dass der Lärm fast ohrenbetäubend war.

 

 

 

Hata bekam Besuch, wieder hielt einer der Wachsamurai genau über ihm. Da Hata das Grölen der Samurai aus dem Innenhof vernahm, sah er seine Chance gekommen, diesen Mann unschädlich zu machen. Er schleuderte ihm das Ende mit dem Blendpulver ins Gesicht und zog die Sichel durch seinen Hals. Nur ein kleiner gurgelnder Laut war zu vernehmen, dann brach der Samurai zusammen. Hata kletterte über die Mauer und bemächtigte sich des Schwertes des Wachsamurais, womit er eine weitere Waffe erwarb. Torah zündete den ersten Endoku ken und warf ihn in die Scharte, dann folgten drei weitere mit giftigem Rauch gefüllte Shuriken. Der Qualm verbreitete sich schnell in dem engen Wehrgang, so dass bald der gesamte Gang damit ausgefüllt war und die Samurai keine Chance mehr hatten, dem Tod zu entkommen. Torah machte sich auf den Weg zu einer weiter entfernten Schießscharte, als er die Rufe von innen hörte: „Ninja! Überfall! Ninjareido!“ Dann hörte er das Getrappel vieler Füße und er schmiss erneut einen der mit Gift gefüllten Shuriken in den Wehrgang. Man hörte es husten und dann vernahm man die erstickten Schreie der Samurai, die um ihr Leben kämpften. Atsushi legte einen Pfeil an, setzte ihn in Brand und schoss. Der Pfeil blieb an der Außenseite des Hauptturmes stecken und begann sein Werk. Um sicher zu gehen, schoss er einen zweiten, der ebenfalls im Holz unterhalb der Schießscharten stecken blieb, die bald darauf lichterloh brannten.

 

Wie auch immer, war es einem der Samurai gelungen aus dem Wehrgang in den Hauptturm zu gelangen. Mit letzter Kraft schrie er: „Ninja! Überfall! Ninjareido!“, dann brach er zusammen.

 

Die Samurai auf dem Turm entwickelten nun Geschäftigkeit. Einer brüllte von oben nach unten in den Innenhof: „Ninja! Überfall!“

 

Yuki schlang ihr rotes Tuch ums Haar, woraufhin Akatsuki sich auf sein Pferd schwang und durch das Tor reiten wollte. Die Samurai, die in der Nähe des Tores standen, versuchten das Tor wieder zu schließen, aber Kazenojôba bäumte sich auf und schlug mit den Hufen nach ihnen, so dass sie nicht dazu kamen, das Tor zu schließen. In Windeseile galoppierte Akatsuki durch das Tor und hielt, wie von Yuki angewiesen, nicht an. Er verschwand auf nimmer Wiedersehen in der Dunkelheit der Nacht.

 

Die Frauen kreischten auf, als die Samurai wie wild um sie herum eine Betriebsamkeit entwickelten, mit der man nicht so schnell gerechnete, weil sie viel Alkohol zu sich genommen hatten. Da sie dies aber offensichtlich gewohnt waren, stellte das also keine Behinderung ihrer Kampffähigkeit dar. Fumiko und Sayuri ließen alle ihre Musikinstrumente fallen und flüchteten in Richtung Tor. Fumiko zerrte Kaori hinter sich her.

 

In der Zwischenzeit brannte der Hauptturm lichterloh und aus dem nahen Waldstück hörte man deutlich das Kampfgeschrei der heranrückenden Truppen von HOSOKAWA, HATAKEYAMA und YAMANA. Sie beeilten sich durch das geöffnete Tor zu kommen.

 

Yuki war um ringt von wütend drein blickenden Samurai. Sie zogen ihre Schwerter und blickten sie kampfesmutig an. Die junge Frau saß in der Falle. Sie hatte sich Fukumi bari in den Mund gesteckt und spuckte sie nun den Samurai ins Gesicht. Das half nur minder gegen den Ansturm der wütenden Männer.  Ein Schwerthieb traf ihren Oberarm, aber sie war so voller Adrenalin, dass sie davon nichts mitbekam. Atsushi erkannte von oben die Notlage Yukis, so dass er mit Pfeilen ihre Angreifer traktierte und den einen oder anderen Samurai zur Strecke brachte. Inzwischen stürmten die ersten feindlichen Samurai in die Burg und schossen weitere Brandpfeile auf die hölzernen Wehrgänge, die sofort Feuer fingen. Der Schneefall hatte nun so dichte Formen angenommen, dass man fast die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Einige der feindlichen, heranstürmenden Samurai hatten die missliche Lage von Yuki erkannt und eilten ihr zu Hilfe.

 

Sie schlugen wie wild mit ihren Schwertern um sich und schrieen Yuki zu, sie solle fliehen. Das mussten sie ihr nicht zweimal sagen. Yuki rannte in Richtung Haupttor und in die heranstürmenden feindlichen Samurai hinein. Dann brachte sie sich im Wald in Sicherheit und ließ die Samurai an sich vorüber stürmen. Es dauerte nicht lange, da war der hölzerne Hauptturm vollständig nieder gebrannt. Aber die Samurai begannen bereits, das Feuer zu löschen, so dass es sich nicht weiter ausbreiten konnte.

 

Nur wenigen feindlichen Samurai war es gelungen, in den Innenhof der Burg Dakeyama zu gelangen, ehe das Haupttor geschlossen werden konnte. Die feindlichen Truppen stürmten unaufhaltsam gegen die Burg und versuchten, die Mauern zu erklimmen. Auf den Wehrgängen hatten Bogenschützen Stellung bezogen und beschossen die heranstürmenden Samurai. Teilweise schossen sie gleichzeitig zehn Pfeile ab, so dass sich auf die Feinde der Burg Dakeyama ein wahrer Pfeilregen ergoss und viele Tote forderte. Der Burggraben war bald übersät mit toten Samurai der Truppen von HOSOKAWA und Konsorten.

 

Es wurde zum Rückzug geblasen, der erste Angriff war gescheitert, obwohl die Voraussetzungen günstig gewesen waren, aber sie hatten einfach zu lange gezögert, die Burg anzugreifen. Die im Innern der Burg eingeschlossenen Samurai der Truppen des Bakufu, der Militärregierung, waren nun dem Tode geweiht. Einige wurden sofort an Ort und Stelle geköpft, andere knieten sich hin und begingen Seppuku, um nicht durch die Hand ihrer Feinde sterben zu müssen. Die die dazu keinen Mut aufbrachten, wurden gefangen genommen und dem Kommandanten vorgeführt. Er fasste ihren Haarschopf und schnitt ihnen die Chonmage, Haarknoten, ab, was eine Beleidigung und Erniedrigung war. Er ließ sie in die Burg bringen, anketten und foltern, um aus ihnen die Truppenstärke und die Stellungen heraus zu bekommen. Ihnen wurden sämtliche Waffen abgenommen, so dass sie sich nicht mehr das Leben nehmen konnten. Ihnen wurden schon aus Wut über den Überfall die schlimmsten Foltermethoden angetan, so dass ihre Schreie weithin zu hören waren.

 

 

 

Es war schon fast Morgen, als Yuki unter großen Schmerzen aus ihrem Versteck heraus kam, um sich auf den Weg zum Hata jinja Schrein der zu begeben. Sie verspürte Durst. Durch die Wunde an ihrem Oberarm verlor sie viel Blut, obwohl sie sich die Wunde am Arm abgebunden hatte. Sie sah erbärmlich aus, hatte unsägliche Schmerzen, die ihr fast die Sinne raubten.

 

Atsushi, Hata und Torah machten sich auf den Weg, um nach Yuki zu suchen. Atsushi fand sie endlich ohnmächtig im Schnee liegend. Sie wäre erfroren, hätten sie sie nicht gefunden. Atsushi lud sie sich über die Schulter. Auch die Männer waren durchgefroren. Ihre Kleidung war durch das Wasser, was in den Stoff gedrungen war, als sie den Burggraben durchschwammen, gefroren. Es herrschten eisige Temperaturen. Der Schnee knirschte unter ihren Waraji und erschwerte es ihnen lautlos durch die Wälder zu streifen. Als sie im sicheren Abstand zur Burg waren und nicht mehr zu befürchten hatten, dass sie von irgendwelchen Samurai entdeckt würden, legte Atsushi Yuki ab, zog sie aus und rieb sie mit Schnee ab. Als die Haut puterrot wurde, war er sicher, dass die Durchblutung ihres Körpers wieder eingesetzt hatte. Die Männer rieben sich nun gegenseitig mit Schnee ab, zogen ihre Kleidung wieder an und bekleideten auch Yuki wieder. Die Wunde war zugefroren, so kalt war es und die Kälte drang ungehindert in die Wunde ein. Sie mussten so schnell wie möglich ein Feuer machen, sonst würde der Arm durch die Kälte absterben und Yuki würde ihren Arm verlieren. Endlich fanden sie eine Höhle, in die sie sich zurückziehen konnten. Wo Fumiko, Kaori und Sayuri sich befanden, entzog sich ihrer Kenntnis und ehrlich gesagt machten sie sich um die drei auch keine Sorgen. Sie wussten, was zu tun war und wo sie sich treffen würden. Atsushi machte eilig Feuer und legte Yuki in die Nähe der Feuerstelle, damit sich ihr Körper wieder erwärmte. Hata und Torah entledigten sich ihrer nassen, klammen Sachen und hockten nackend vor dem Feuer. Atsushi zog ebenfalls seine Sachen aus und legte sich mit dem Rücken dicht an Yuki heran, um sie zu wärmen. Endlich gab sie einen Laut von sich. Es war zwar nur ein Stöhnen, aber zeigte, dass sie noch am Leben war. Torah holte etwas Schnee von draußen, hielt die Hand, die er wie eine Schale geformt hielt, über das Feuer und gab Yuki das Wasser zu trinken. „Hier Mädchen trink, damit du wieder zu dir kommst“, sagte er liebevoll. Atsushi gab sich die größte Mühe, um ihren Körper warm zu halten. Hata legte seine Hand an ihre Stirn, denn die hochrote Gesichtsfarbe machte ihn stutzig.

 

Buddha sei ihr gnädig“, flüsterte er.

 

Sie hat extrem hohes Fieber. Die Kälte musste tief in ihre Wunde eingedrungen sein. „Hoffentlich können wir ihren Arm retten“, sagte er zu seinen Kameraden.

 

Hata und Tora formten mit ihren Händen die Mudrâ Uchijishi in für das Siegel SHA und sagten das dazu gehörige Mantrâ auf. Atsushi hielt Yuki mit seinen Armen fest umschlungen und betete, dass sie endlich ihre Augen  aufmachen würde. Torah beendete sein Gebet und holte aus seiner Jacke etwas Trockenreis, dann ging er vor die Höhle, holte Schnee, schmolz ihn und ließ Hata den Trockenreis hinein streuen. Hata rührte mit dem Finger die Masse um, so dass eine Art Kleie entstand. Er leckte etwas davon, um ein wenig zu essen, den Rest wischte er mit dem Zeigefinger auf und schmierte es Yuki an die Lippen und in den Mund. Yukis Zunge kam aus dem Mund heraus und leckte gierig die Flüssigkeit auf.

 

„Sie ist wieder bei uns“, flüsterte Atsushi und strich ihr sanft übers Haar.

 

„Mach die Augen auf tapferes Mädchen, schau uns an!“, forderte er die junge Frau auf. Erst nach einer ganzen Weile gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie blickte von einem zum anderen und lächelte.

 

Ganz leise, so dass Atsushi sein Ohr in die Nähe ihres Mundes bringen musste, sagte sie: „Haben es alle raus geschafft?“

 

„Ja, alle sind in Sicherheit. Mach dir keine Sorgen. Du bist schwer verletzt, Kleines und hast hohes Fieber. Wir müssen warten, bis unsere Sachen wieder trocken sind. Hast du Schmerzen?“

 

Yuki nickte. Hata kramte in seiner Jacke und holte eine kleine Metalldose hervor, die einige Drachenperlen enthielt. Vorsichtig schob er Yuki eine davon in ihren Mund. Yuki zerkaute die Droge und schloss ihre Augen wieder.

 

Atsushi wärme dich am Feuer auf, wir legen uns zu Yuki, damit sie nicht erfriert.“

 

Gesagt getan, legte sich einer an den Rücken und der andere nahm sie in den Arm und so war sie von den Männern eingehüllt, die ihr ihrem Körper Wärme spendeten, damit sie am Leben blieb.

 

Als Atsushi nach draußen blickte, war es bereits sehr hell und die Sonne schien warm vom Himmel herunter. Er rieb sich noch einmal mit Schnee ab und zog sich wieder seine Sachen an. Dann trug er Yuki in den Schnee und rieb auch sie von oben bis unten mit Schnee ab. Dann zog er ihr den Kimono wieder an und schaute sich ihre Wunde an. Das Fleisch war knall rot und heiß, so dass man hätte darauf Reis rösten können.

 

„Wir müssen so schnell wie möglich zum Tempel. Sie stirbt uns sonst unter den Fingern weg.“

 

Torah und Hata nickten. Wir werden schnell laufen und uns beim Tragen von Yuki abwechseln. Auf diese Weise wird uns warm und wir kommen schnell voran. Sie füllten eine Kalebasse mit aus Schnee gewonnenem Wasser und traten eilig das Feuer aus. Dann rannten sie los. Gegen Abend erreichten sie den Tempel und klopften an. Da der Tempel eigentlich schon geschlossen hatte, dauerte es eine Weile, ehe sich jemand am Tor blicken ließ.

 

Einer der Mönche öffnete das Tor und schaute sich die Männer und die verwundete Frau an.

 

Er schlug die Hände vor sein Gesicht und winkte alle herein. Er rannte vornweg und alle folgten ihm. Yuki wurde in einen Raum gebracht, in dem in einer ebenerdigen Feuerschale ein warmes Feuer brannte. Der Mönch legte noch ein paar Scheite auf und stürzte los, um den Abt zu holen. Er kam eilig herbei und schaute sich die Wunde von Yuki an, dann schickte er einen der Mönche los, um Pechsalbe zu holen. Der Abt verteilte die Salbe um die Wunde. Dann trugen sie Yuki auf einen Futon. Atsushi zog ihr den Kimono aus und deckte sie liebevoll zu. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und legte seine Hand auf ihre Stirn. Das Fieber war etwas herunter gegangen.

 

„Gib noch eine Perle her“, sagte er zu Hata und schob sie Yuki zwischen die Lippen.

 

„Nimm sie Yuki, sie wird dir helfen“, sagte er und war froh, dass sie reagierte.

 

Der Abt kam mit heißem Wasser und einer Baumwollbinde. Vorsichtig wusch er die Wunde aus und entfernte das abgestorbene Gewebe. Yuki schrie vor Schmerz auf. Der Abt schob ihr ein Stück Bambus zwischen die Zähne, so dass sie zubeißen konnte.

 

„Es ist gut, dass sie schreit, dann können wir sicher sein, dass der Arm noch nicht abgestorben ist“, sagte der Abt und nickte befriedigt.

 

Als Yuki versorgt war und schlief, führte er die Männer zu einem Onsen, der zum Tempel gehörte. „Wärmen sie sich auf, meine Mönche bereiten ihnen ein Essen zu, damit sie sich stärken können. Wir bereiten ihnen inzwischen ein Zimmer vor, so ist auch sicher gestellt, dass sie ausruhen können. Einer meiner Schüler wird bei der Frau Wache halten und sie sofort holen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“

 

„Vielen Dank, wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet“, sagte Hata und verbeugte sich bis auf dem Boden vor dem Abt.

 

„Mein Freund, es ist meine Pflicht euch zu helfen, egal, ob ihr Freund oder Feind seid. Ich nehme an, sie kommen von der Schlacht oben auf dem Dakeyama?“

 

Hata nickte, schwieg aber ansonsten zu der Frage. Der Abt wies einen der Schüler an, den Herren zunächst ihr Zimmer zu zeigen, ehe sie sich in das heiße Bad begaben. Es war ein freundlicher, sauberer Raum. Am wichtigsten jedoch war, er war einigermaßen warm. Die Futons hatten die Mönche mit warmen Decken bestückt. Die drei Männer gingen in das heiße Bad und ließen sich hinein gleiten. Sie schwiegen, schlossen die Augen und hingen ein jeder seinen Gedanken nach.

 

Atsushi war im Nachhinein froh, dass TOZAWA Ryûtaro immer ein so unerbittlicher Lehrer gewesen war, der keinerlei Gnade kannte. Alles, was er bei ihm lernte, konnte er heute anwenden. Er war froh, dass sie ihren Auftrag, den Hauptturm in Brand zu setzen und das Tor offen zu halten, erfüllt hatten, auch wenn er für die Truppen von HATAKEYAMA nicht von Erfolg gekrönt war. Dass die Samurai so schändlich versagten, lag nicht in seiner Verantwortung. Es war gut, dass es nur eine Verletzte und keine Toten in ihrer Gruppe gab. Das heißt, es war noch nicht ganz klar, ob Fumiko, Kaori und Sayuri es geschafft hatten. Auch sie waren der strengen Kälte ausgesetzt gewesen und sie waren nur spärlich bekleidet. Das Akatsuki mit dem Pferd erfolgreich die Flucht gelungen war, machte ihn sehr froh und er war sich sicher, dass er bereits auf einem Futon im Hata jinja schlummerte. Er würde drei Tage dort verbleiben, dann würde er zum Kumeda ji weiter reiten und wieder drei Tage warten. So trug Yuki es ihm auf.

 

Atsushi rechnete nicht mehr damit, dass sie in diesem Jahr noch weiter konnten. Erst, wenn der strenge Winter Ende Januar oder Anfang Februar zu Ende war, konnten sie zurück in ihr Heimatdorf. Man würde sich große Sorgen um sie machen, aber es blieb ihnen letzen Endes gar keine andere Wahl. Die Pässe im Hochgebirge waren unpassierbar. Einzig und allein Akatsuki könnte es bis Kyôto zu Ryô und Shun schaffen, dann wäre auch gesichert, dass die anderen aus dem Dorf eine Information erhielten. Aber was für eine? Akatsuki konnte nur Berichten, dass der Einfall in die Burg misslungen war. Er konnte aber kein Wort zum Verbleib seiner Kameraden sagen. Dass ihr Auftrag ordnungsgemäß erfüllt wurde, konnte er ebenfalls berichten. Alle mussten sich mit dem abfinden, was möglich war.

 

Atsushi erhob sich, trocknete sich ab und ging in das für sie vorbereitete Zimmer. Die Mönche legten ihnen frische Yukatta hin. Vor jedem Futon stand ein Lacktablett mit leckeren Speisen. Atsushi zog sich den leichten Kimono über und ging zu Yuki. Sie lag in tiefem Schlummer. Er hob ihre Hand hoch und fühlte ihren Puls. Er war ruhig, also wirkte die Droge. Ein schmales Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war sichtlich zufrieden. Das war sehr knapp. Er hätte sich ewig Vorwürfe gemacht, wenn die Mutter des kleinen Shirômaru verstorben wäre. Der kleine Kerl hatte so schon genug durchgemacht, weil er ewig seinen Vater nicht sehen durfte, wenn er jetzt auch noch seine Mutter verloren hätte, wäre das einfach nur grausig gewesen.

 

„Sie ist noch sehr jung“, sagte der Mönch.

 

Atsushi lächelte. „So jung ist sie auch wieder nicht, sie ist um die dreißig Jahre alt.“

 

„Was, sie sieht wie ein Kind aus.“

 

„Das sagt ihr gleich, wenn sie die Augen aufschlägt, dann wirst du ihr ein großes Kompliment machen, und sie zum Strahlen bringen. Sie hat einen fünfjährigen Sohn, den sie fast allein aufgezogen hat.“

 

Der Mönch machte große Augen und sagte dann: „Ihr seid Shinobi nicht wahr?“

 

Atsushi nickte. Es hatte keinen Zweck zu leugnen, denn sie waren in ihrer Tarnverkleidung erschienen.

 

„Sie hatte großes Glück, die Wunde ist nicht all zu tief. Es ist nur ein Muskel am Arm halb durchtrennt, das wächst wieder zusammen. Das hätte viel schlimmer ausgehen können. Die Schwerter sind verdammt scharf.“

 

„Ja, sie hatte in zweifacher Hinsicht Glück, nicht nur, dass die Wunde nicht so tief ist, sondern auch, dass wir sie ziemlich schnell gefunden haben, sie wäre sonst erfroren.“

 

Der Mönch nickte. Inzwischen waren auch Hata und sein Vater Torah aus dem Bad gekommen und schauten nach Yuki. Sichtlich zufrieden gingen sie auf ihr Zimmer und aßen genüsslich die leckeren Speisen. Dann legten sie sich hin und waren kurze Zeit darauf auch schon eingeschlafen. Als Atsushi in den Raum kam, hörte er das leise Schnarchen seines Vaters und Hatas. Er verzehrte genüsslich die Speisen. Dann legte er sich auf den Futon, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und hing seinen Gedanken nach. „Wie weich ihre Haut war?“, Atsushi wünschte sich nichts sehnlicher, als eine ebenso schöne und kluge Frau zu finden. Er war inzwischen zwanzig Jahre alt und sein Vater hatte schon so manches Mal eine witzige Bemerkung ihm gegenüber über die Lippen kommen lassen. Aber bisher war einfach keine Zeit gewesen, die passende Frau zu finden. „Na ja, egal, irgendwann würde sich das ergeben und dann würde er genau so glücklich wie Shirô sein. Aber für zwei Frauen würde er sich nicht entscheiden wollen, denn das wäre ihm einfach zu stressig“, war das letzte, was er dachte und dann fielen ihm die Augen zu.

 

 

 

Zur gleichen Zeit, als der Angriff auf die Burg Dakeyama tobte, saß Shirô in der Fudô- Halle und betete für das Gelingen des Auftrages und die glückliche Heimreise aller Shinobi. Er war mitten im Gebet, als er plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Arm spürte und er vor Schmerz nach vorn über sank.

 

Yuki!!!“, schoss es ihm durch den Kopf. Er stand auf und wankte zu seinem Vater.

 

Ryûtaro, bei dem Angriff auf die Burg Dakeyama ist etwas schief gegangen. Yuki ist verletzt.“

 

„Wie kommst du darauf?“

 

„Ich war eben in der Fudô- Halle und habe für alle, die bei dem Einsatz sind, gebetet, als ich plötzlich einen extremen Schmerz in meinem rechten Arm spürte. Er war so stark, dass ich nach vorn übergekippt bin.“

 

„Das wäre fatal. Hoffentlich sind wenigstens alle aus der Burg heraus gekommen.“

 

„Wir werden sehen. Spätestens Ende Dezember müssten sie wieder hier sein, wenn alles geklappt hat.“

 

„Ja, Ende Dezember müsste für sie reichen, dann sollten sie hier wieder erscheinen.“

 

„Ich werde jeden Tag für sie beten.“

 

„Tu das mein Sohn.“

 

 

 

Akatsuki war wie der Teufel bis zum Hata jinja Schrein durchgeritten. Er kam völlig verschwitzt im Schrein an. Als er vom Pferd stieg, gaben seine Beine nach und er ging in die Knie. Einer der Pilger stützte ihn und half ihm wieder auf die Beine.

 

„Um Himmels Willen, Junge, was ist geschehen, du bist ja völlig außer Atem und ganz erschöpft? Komm, ich bringe dich zum Abt, er wird dir helfen.“

 

Der ältere Mann stützte Akatsuki und brachte ihn zum Abt des Schreins. Der schaute mitleidig auf den Jungen, der zu weinen begonnen hatte.

 

„Was ist den geschehen mein Junge?“

 

„Ich bin mit einer Gauklergruppe unterwegs gewesen und wir sind von einer Räuberbande überfallen worden“, log er.

 

„Ach, wie grausig. Wo sind die anderen alle?“

 

„Das weiß ich nicht. Ich bin so schnell ich konnte geflohen. Was mit den anderen ist, kann ich nicht sagen.“

 

„Na ja, dann komm erst mal. Wir bringen dein Pferd unter, geben ihm etwas zu saufen und zu fressen und dann wirst du dich erst einmal richtig waschen. Du bist völlig durchgeschwitzt. Ich gebe dir eine Robe eines unserer Schüler, damit wir deine Sachen waschen können. Ruh dich aus und iss erst einmal was. Wo willst du denn nun hin?“

 

„Ich will in die Hauptstadt über Sakai.“

 

„Nun, bis nach Sakai, das kannst du an einem halben Tag mit dem Pferd schaffen und dann? Willst du erst einmal eine Weile in Sakai bleiben oder gleich weiter nach Kyôto?“

 

„Wenn ihr gestattet, würde ich gern drei Tage hier bleiben. Vielleicht hat es ja noch jemand geschafft, der würde bestimmt auch hier in den Tempel kommen, denn der liegt genau auf  dem Weg. Dann will ich so schnell wie möglich weiter nach Kyôto. Dort wohnt ein Onkel von mir, bei dem kann ich erst einmal bleiben“, log er erneut.

 

Als er auf dem Futon lag, sah er immer wieder die Bilder der herein stürmenden Samurai in ihren Schuppenpanzern, den Kronenhelmen, den erhobenen Schwertern, den langen Hellebarden, Langbögen und ihre wutverzerrten Gesichter. Das Geschrei von ihnen war Angst einflößend. Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass die Kinder der Samurai schon mit zwölf Jahren in eine Schlacht zogen. Aber was war es denn anderes gewesen, als eine Schlacht, die er geschlagen hatte? Wie schnell es gegangen war, von einer auf die andere Sekunde hatte sich die Situation völlig verändert. Erst waren alle fröhlich und feierten und auf einmal gingen sie alle wie die irrsinnigen aufeinander los. Hoffentlich kamen alle seine Kameraden heil davon. Morgen Früh wollte er gleich für alle beten, denn er hatte große Angst um sie.

 

 

 

Fumiko, Kaori und Sayuri stapften durch den hohen Schnee. Fumiko versuchte sich immer wieder an den Sternen zu orientieren, wo sie sich gerade befanden. Es war so bitter kalt. Sie zitterten wie Espenlaub. Durch den hohen Schnee konnten sie auch gar nicht so schnell vorwärts kommen. Sayuri blieb plötzlich stehen. „Ich bin müde, habe entsetzlichen Hunger und mir ist Hunde kalt. Ich kann nicht mehr Fumiko.“

 

Sayuri, du kannst dir nichts Schlimmeres antun, als stehen zu bleiben. Wenn dir kalt ist, dann lass uns gegenseitig mit Schnee abreiben und uns dann wieder anziehen. Essen können wir nur etwas Rinde und trinken? Tja, da müssen wir Schnee in den Mund nehmen und schmelzen, anders geht es nicht.“

 

Kaori blickte erschreckt von einer zur anderen. „Wir müssen weiter laufen, wir werden erfrieren, wenn wir hier wie angenagelt stehen bleiben!“, sagte sie.

 

„Rinde? Wie willst du die denn abbekommen? Ich habe so klamme Finger, dass ich noch nicht einmal meinen Kimono am Ausschnitt richtig zusammen halten kann.“

 

Triumphierend holte Fumiko ein Messer aus ihrer Schärpe und hob es nach oben.

 

„Los, zieht euch aus. Ich reibe euch mit Schnee ab und dann macht ihr das gleiche mit mir.“

 

Schnell wurden ihre Körper wieder warm. Fumiko schälte Rinde von einem Bergahorn und gab Sayuri den Bast.

 

„Hier du musst es auslutschen, es schmeckt süß und wird den Hunger stillen, bis wir im Tempel sind.“

 

Kaori nahm das Essen dankbar entgegen und zutschte den Bast aus. Der Zucker auf der Zunge war lecker, konnte aber nur den ersten Hunger stillen. Bald würde das Gefühl wiederkommen.

 

Fumiko selbst schälte sich ebenfalls Bast ab und stopfte ihn sich in den Mund. Sie kaute darauf herum und hob sich schließlich Schnee an den Mund und kaute auch diesen. Gierig schluckte sie das entstandene Wasser hinunter. „Los macht schon, sonst verdurstet ihr!“

 

Sayuri und Kaori befolgten den Rat und schluckten ebenfalls gierig das Wasser hinunter.

 

„Wir werden jetzt rennen, dann wird uns auch warm und wir kommen schneller voran.“

 

Fumiko zerrte Sayuri hinter sich her, die völlig erschöpft war und jeden Moment drohte zusammen zu brechen. Kaori stapfte benommen hinter her. Fumiko befürchtete, dass sie sich verlaufen hatten, denn eigentlich müsste der Hata jinja Schrein schon längst auftauchen. Das hätte noch gefehlt, dass sie sich bei der Kälte verliefen.

 

„Sind wir nicht bald da?“, fragte Sayuri mit zitternder Stimme, denn sie erinnerte sich, dass Yuki sagte, der Schrein sei ziemlich in der Nähe der Burg.

 

„Ja, nur noch ein kleines Stück“, log Fumiko.

 

Als es langsam dämmerte, sahen sie im Abendnebel verschwommen die Umrisse eines Tempels. „Endlich!“, dacht sie und zeigte freudig mit der Hand auf den Tempel. Aber als sie den Tempel erreichten, kam die Ernüchterung. Über dem Eingangstor prangten in großen Kanji die Buchstaben Hine jinja. Das war zwar ein Tempel, in dem sie Schutz suchen konnten, aber nicht der, wo sie sich alle treffen wollten.

 

„Was soll es“, dachte sich Fumiko. Dann blieben sie eben nicht drei Tage, sonder zogen gleich am nächsten Tag weiter, in der Hoffnung, die anderen einholen zu können. Als sie den Tempel betraten und die Mönche ihren erbärmlichen Zustand erkannten, eilten sie zu ihnen, um zu helfen.

 

„Meine Damen, sie sehen aus, als seien sie die ganze Nacht in der Kälte unterwegs gewesen.“

 

„So ist es. Meinen Freundinnen hier geht es gar nicht gut, sie müssen sich unbedingt ausruhen.“

 

„Ja natürlich, wir machen gleich etwas zu essen für sie und bereiten ein Zimmer vor, in dem sie sich ausruhen können.“

 

„Wir wollten eigentlich zum Hata jinja Schrein, ist das sehr weit von hier?“

 

„Da müssten sie zurück, wo wollten sie denn dann hin?“

 

„Wir wollten über Sakai nach Kyôto reisen“, sagte Fumiko.

 

„Ah, das trifft sich gut. Unser Abt will mit einer Gruppe Mönche zum Fushimi Inari Schrein pilgern, das liegt kurz vor Kyôto, da kann er sie mitnehmen, meine Damen.“

 

„Wann beabsichtigt der Abt diese Reise anzutreten?“, fragte Fumiko.

 

In vier Tagen wird er sich zusammen mit zehn weiteren Mönchen auf den Weg machen. Sie wollen den befreundeten Schrein aufsuchen, um das Neujahrsfest dort zu feiern.“

 

„Neujahrsfest?“, ja richtig. „Welcher Tag ist denn heute?“

 

„Heute ist der 22. Dezember meine Dame.“

 

„Was? Der 22. Dezember, dann sind wir ja drei Tage umher geirrt, das ist ja furchtbar.“

 

Nun war sie sich sicher, dass sie völlig auf sich allein gestellt waren, denn die anderen Gruppenmitglieder waren sie nun nicht mehr in der Lage einzuholen. Fumiko konnten ja nicht ahnen, dass diese Gruppe wegen Yuki überhaupt nicht mehr vorankam.

 

„Gut, dann werden wir gemeinsam mit dem Abt die Reise zum Fushimi Inari Taisha Schrein antreten“, sagte sie.

 

„Meine Damen, das Zimmer für sie ist fertig. Sie finden auch Essen auf ihrem Zimmer. Möchten sie vorher ein heißes Bad nehmen?“

 

„Das wäre ein großer Luxus, den wir gern annehmen wollen.“

 

Die Mönche brachten sie zu den Badestuben und wiesen ihnen den Bereich zu, der für Pilgerinnen vorbereitet war. Einer der Mönche überreichte Fumiko, Kaori  und Sayuri je eine Yukatta und Handtücher, um sich abtrocknen zu können. Außerdem erhielten sie ein Töpfchen Kleie, mit der sie sich die Haare waschen konnten und einen hölzernen Kamm, um die Haare wieder in Form zu bringen.

 

Fumiko, Kaori und Sayuri ließen sich in das heiße Wasser gleiten. Sie schlossen vor Erschöpfung ihre Augen. Es wurde ihnen jetzt erst richtig bewusst, was sie für eine Tortur hinter sich gebracht hatten.

 

„Wenn wir mit den Mönchen gehen, kommen wir ohne Probleme in die Hauptstadt, auch ohne Passierschein. Das trifft sich sehr gut.“

 

Sayuri schaffte es nicht allein wieder aus dem Bad zu kommen, so schwach war sie inzwischen. Die wesentlich robustere Fumiko und Kaori mussten sie stützen und ihr so helfen aus dem Wasser zu steigen. Sie halfen ihr ebenfalls, die Yukatta anzuziehen, nachdem sie sie abgetrocknet hatten. Fumiko massierte die Kleie erst in Sayuris, dann in Kaoris  Haar und bat sie, auch bei ihr den kleinen Liebesdienst zu erledigen. Dann wuschen sie alles wieder aus und kämmten sich gegenseitig. Ihr langes Haar banden sie hoch, denn ansonsten wäre ihr Kimono auf dem Rücken gleich klatsch nass gewesen. Als sie den kleinen warmen Raum betraten und das Essen sahen, mussten sie sich nach drei Tagen ohne Essen zusammenreißen, um nicht wie die wilden Tiere über die Speisen herzufallen. Es dauerte nur kurze Zeit, da war alles verputzt. Sie lagen noch nicht ganz auf dem Futon, da fielen ihnen schon die Augen zu und sie schliefen bis zum Nachmittag des darauf folgenden Tages. Als sie wieder erwachten, besuchten sie die Honden- Haupthalle und beteten für ihre sichere Heimreise und die Gesundheit der anderen Gruppenmitglieder.

 

 

 

Akatsuki war  inzwischen mit Kazenojôba in Sakai angekommen. Yuki überließ ihm den Lederbeutel mit den drei RYÔ in Gold, so dass er sowohl Futter für das Pferd, als auch Nahrung für sich selbst kaufen konnte. Er decke sich noch mit ein paar Mochi ein und erfreute damit sein Pferd im Besonderen.

 

„Hier mein Junge, das hast du dir verdient. Du bist wirklich ein guter Freund, hast mich vor diesen blöden Samurai beschützt. Mutig und schlau bist du“, flüsterte Akatsuki dem Pferd zu und tätschelte seinen Hals.

 

Akatsuki setzte seinen Weg nach Kyôto fort. Aber in welcher Richtung lag Kyôto eigentlich? Er fragte einen Händler, der ihm gleich als erstes sein Pferd abkaufen wollte. Er flüchtete regelrecht vor diesem Mann, der seine Knechte dem Jungen hinterher schickte, so dass Akatsuki sich genötigt sah, in vollem Galopp die Straße entlang zu reiten. In einiger Entfernung erspähte er eine Gruppe Samurai. „Ach du Schande! Are mâ!“, dachte Akatsuki, „jetzt wird es brenzlig. Ima wa atsuku natte kimashita.

 

Es war dem einfachen Volk nicht erlaubt, auf den Landstraßen zu reiten. Sie durften sich nur mit Ochsenkarren oder zu Fuß bewegen. Für die etwas reicheren unter ihnen bestand noch die Möglichkeit, in einem einfachen Kago zu reisen. Dieses Gesetz wurde erlassen, um zu verhindern, dass größere Truppenverbände auf den Straßen schnell vorwärts kämen und die Hauptstadt bedrohten. Eilig stieg er vom Pferd und lief extra langsam. Aber da sah er aus dem Augenwinkel schon die Knechte des Händlers immer näher kommen. Sie waren zu siebent und würden ihn ohne Probleme niederringen, selbst wenn er sein Können als Shinobi einsetzen würde. Also lief er nun doch schneller. Tränen begannen aus seinen Augen zu tropfen und verschleierten seinen Blick. So übersah er den einen einsamen Samurai, der ziemlich nah vor ihm lief und hätte ihn beinah über den Haufen gerannt.

 

„He, kleiner Mann! Oi, chîsana otoko yo!“, rief der Samurai und zog sein Schwert aus der Scheide. Fast hätte sich Akatsuki vor Angst in die Hosen gemacht. Er verbeugte sich tief und bat inständig um Vergebung. Plötzlich sagte der Samurai: „Hotaru, bist du das? Hotaru chan, anata desu ka?“, sagte der Kadett und steckte sein Schwert zurück in die Saya.

 

Akatsuki stutzte und blickte dem Samurai ins Gesicht, was an sich eine grobe Beleidigung gewesen wäre, aber er erkannte den jungen Kadetten ISHIZAKI Haruki.

 

„Was ist los, warum bist du so gerannt? Dô shita naze an’nani hashitta no ka?

 

„Da, diese Kerle sind hinter mir her, die wollen Kazenojôba haben und ihn mir wegnehmen.“

 

Haruki drehte sich um und zog sein Schwert. Augenblicklich blieben die Knechte des Händlers stehen. Sie grinsten den sehr jungen Samurai an und schlugen mit der Faust in ihre offenen Hände. Diese Drohgebärde war eine Beleidigung für den Samurai und ermächtigte ihn, ohne weitere Fragen zu stellen dem erstbesten, der ihn angriff, den Kopf abzuschlagen.

 

Einer der kräftigen Knechte kam auf ihn zu und zog ein Messer aus seinem Gürtel, aber ehe er sich versah, war er um einen Kopf kürzer.

 

„Wagt es nicht meinen Diener anzugreifen. Oder euch allen geht es so wie dem da“, sagte Haruki mit betont tiefer Stimme, um männlicher zu wirken. Er nickte dabei in Richtung der Leiche, die ohne Kopf auf dem Boden der Landstraße lag. Die Menschen kreischten auf und drückten sich ängstlich an den Kontrahenten vorbei. Die Knechte bildeten sich ein, sie konnten zu sechst ISHIZAKI san zur Strecke bringen, aber da hatten sie die Rechnung ohne ihn gemacht. Ein zweiter Kopf rolle über die Landstraße und blieb vor den Füßen einer Frau liegen. Sie schrie wie am Spieß und ihr Begleiter bereitete es große Mühe sie wieder zu beruhigen.

 

Da ein solcher Auflauf und auch reichlich Lärm entstanden, war die weiter vorn laufende Gruppe Samurai auf das Geschehen aufmerksam geworden. Eilig rannten sie dem jungen Samurai zur Hilfe. Nun waren fünf Knechte plötzlich mit elf Samurai konfrontiert. Das war ihnen dann doch zufiel, so dass sie sich trollten. ISHIZAKI san bedankte sich förmlich und man beschloss den restlichen Weg gemeinsam fortzusetzen. ISHIZAKI Haruki erfuhr, dass es sich bei den Samurai um eine Abordnung der Armee des Bakufu handelte. Sie waren von der Militärregierung und mussten dem Shôgun Bericht über die Schlacht am Dakeyama erstatten.

 

Nach drei Tagen kamen sie in der Hauptstadt Kyôto an. Akatsuki verabschiedete sich und bedankte sich überschwänglich bei ISHIZAKI Haruki für die sichere Reise bis zur Hauptstadt. Dann begab er sich auf den Weg zur Sakagura- Sakebrauerei.

 

Die war noch immer geschlossen. Er lief mit dem Pferd auf den Hof und probierte an allen Türen, ob eine vielleicht offen wäre. Gerade wollte er enttäuscht wieder gehen, da kam Shun aus einer der Türen.

 

Akatsuki? Was machst du denn hier? Komm schnell rein und berichte. Ist etwas bei eurem Einsatz passiert?“, überhäufte Shun den Jungen mit seinen Fragen, so dass ihm unweigerlich die Tränen aus den Augen rannen. Shun streichelte über seinen Kopf und ließ ihn erst einmal hinsetzten. Da kam Ryô aus dem Keller und wunderte sich sehr, dass Akatsuki im geheimen Raum saß.

 

„Was ist passiert? Dô shita no?

 

Akatsuki schniefte und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg. „Wir hatten den Auftrag, die Burg Dakeyama zu infiltrieren, den Hauptturm in Brand zu setzen und dafür sorge zu tragen, den Truppen der HOSOKAWA, HATAKEYAMA und YAMANA die Möglichkeit zu verschaffen, in die Burg eindringen zu können. Das gelang uns auch. Das Tor stand sperrangelweit offen, als ich geflohen bin. Ich kann euch nicht sagen, ob es Yuki, Fumiko, Sayuri, Atsushi, Hata und Torah geschafft haben. Yuki wies mich an, sofort von der Gefahrenstelle weg zureiten, so schnell es ging. Das habe ich getan, daher kann ich nicht sagen, was mit den anderen ist. Der Auftrag wurde jedenfalls erfolgreich ausgeführt, soweit kann ich euch beruhigen.“

 

Ryô saß schweigend am Tisch. Shun holte gerade Tee für den Jungen und ein paar Hirsebällchen, wovon er wusste, dass er sie gern mochte.

 

„Das ist eine Katastrophe in sechs Tagen beginnt das neue Jahr. Die Pässe sind alle zu, selbst wenn sie am Leben sind, können sie nicht zurück nach Hause. Die Leute im Dorf werden verzweifelt auf sie warten. Eine verzwickte Sache. Wir können im Moment auch niemanden schicken, das ist einfach zu gefährlich. Wir wollten in der ersten Januarwoche ins Dorf und ein paar Waren hinbringen, da kannst du auf jeden Fall mitkommen Akatsuki. Vielleicht erreichen uns die anderen bis dahin ja noch, dann können wir alle gemeinsam aufbrechen und schaffen es bis nach Hause“, sagte Ryô.

 

„Du bleibst jetzt erst einmal hier und schläfst dich richtig aus. Kazenojôba bringe ich in einem der Lagerräume unter, damit ich ihm wenigstens Wasser geben kann. Frist er auch Hirsebällchen?“, fragte Shun.

 

„Das weiß ich nicht, das habe ich noch nicht probiert, aber zuviel darf er sowieso von dem süßen Zeug nicht essen, dann bekommt er Blähungen und ich sage euch ihr möchtet das nicht riechen, wenn er pupst.“

 

Die beiden Männer lachten. „Na wenigstens hat er seinen Humor nicht verloren!“, dachte Ryô. Wenn nicht anders, musste er von irgendwo Heu auftreiben.

 

 

 

Atsushi kniete vor Yuki und betete inständig, sie möge die Augen aufschlagen. Das Fieber war nur wenig zurückgegangen. Der Abt hatte die Wunde neu versorgt und war mit dem Heilungsprozess zufrieden. Er legte Atsushi seine Hand beschwichtigend auf dessen Schulter und sagte: „Mein Freund, du kannst jetzt nichts mehr für sie tun, lass uns das ab jetzt machen, wir verfügen als Yamabushi über Möglichkeiten der Heilung, die dir, obwohl du ein Shinobi bist, verschlossen sind. Geh in deinen Raum und lass uns allein.“

 

Atsushi gehorchte, obwohl er liebend gern bei den Mönchen geblieben wäre, um zu sehen, was sie taten. Er bewunderte Shirô immer für seine medizinischen Kenntnisse, die er sich von den Yamabushi aneignete.

 

Die Mönche setzten sich im Kreis um Yuki und begannen ihre Mantren zu sprechen. In schneller Folge vollführten sie zahlreiche Mudrâs. Ihr brummender Gesang versetzte alles um sie herum in Schwingung. Yuki fiel in eine tiefe Trance und konnte nichts dagegen tun. Die Mönche visualisierten das Kuji kiri Gitter und vervielfachten es, so dass ein Rechteck entstand. In jeden Schnittpunkt setzten sie ein und dasselbe Rechteck. In das Zentrum schrieben sie das Sanskritsymbol für Fudô Myôô HAM MAN und sangen sein Mantrâ: NAMAH SAMANTA VAJRA NAM CHANDA MAHA ROSHANA SWOTAYA HÛM TRAT HAM MAN. Dieses Mantrâ rezitierten sie immerfort, bis ihnen Schweiß die Stirn und den Rücken hinunter lief. Erst nach einer ganzen Weile saßen sie nur noch still um Yuki herum und ließen ihre Energie fließen. Es war still wie in einem Grab, aber plötzlich öffnete Yuki ihre Augen und schaute die um sie herum sitzenden Mönche fragend an.

 

„Wo bin ich hier? Koko wa doko desu ka?“, fragte sie.

 

„Ihr seid im Shipporyu ji Tempel meine Dame. Ihre Freunde haben sie hier her gebracht, weil sie schwer verletzt sind. Ein Schwerthieb traf sie am Arm und durchtrennte einen Muskel halb. Sie haben ziemlich hohes Fieber. Aber sind nun auf dem Wege der Besserung“, sagte der Abt.

 

„Sind meine Freunde noch hier? Watashi no tomodachi wa mada koko ni imasu ka?

 

„Ja, meine Dame, das sind sie. Möchten sie mit jemandem sprechen? Dare ka to hanashitai desu ka?

 

„Wenn möglich mit allen vier bitte. Dekireba shinshi shi-ri zen’in de.“

 

„Vier? Es sind nur drei, meine Dame.“

 

Yuki nickte und schloss wieder ihr Augen. Der Abt stand auf und holte die Shinobi. Sie kamen herbei geeilt und machten sich bemerkbar: „Yuki, wir sind alle hier. Yuki chan, min’na koko ni iru yo.

 

Yuki öffnete die Augen und schaute von einem zum anderen. „Wie bin ich hier her gekommen? Watakushi dô yatte, koko ni kita ndarô?“, fragte sie verwirrt.

 

„Wir haben dich immer abwechselnd getragen. Watashitachi wa itsumo kôtai de anata wo hakonde imashita. Es lag verdammt viel Schnee und es war Hunde kalt. Sugoi ryô no yuki ga orimashita. Kôri ppoi deshita. Wir haben dich im Schnee liegend gefunden. Yuki no naka de yokotawatte iru kimi wo mitsuketa. Du wärst erfroren, wenn wir dich nicht entdeckt hätten. Watashitachi ga anata wo mitsukete inakattara, anata wa tôshi shite itadarô. Atsushi hat dich ausgezogen und mit Schnee abgerieben. Atsushi wa anata wo hadaka ni shi, yuki de anata wo kosuri tsukemashita. Entschuldige bitte, aber das musste sein. Môshiwake arimasen ga, sô de nakereba narimasen deshita. Du wärst uns sonst unter den Fingern weggestorben. Sô de nakereba, anata wa watashitachi no yubi no shita de shinde  itadeshô. Wir haben dich versucht mit unseren Körpern zu wärmen und sind dir dabei sehr nah gekommen, bitte verzeih uns das, aber wie gesagt, du wärst erfroren. Du hast so viel Blut verloren und die Wunde hatte sich infiziert. Der Abt hat alles gesäubert und frisch verbunden. Hast du Hunger?“

 

„Ja, das habe ich.“

 

„Oh, wie schön, wir werden dich gleich füttern.“

 

„Wo sind Akatsuki, Fumiko, Kaori  und Sayuri?“

 

Akatsuki dürfte bereits in Kyôto sein. Fumiko, Kaori und Sayuri sind hier nie angekommen. Wir wissen nichts von ihnen.“

 

„War der Auftrag erfolgreich?“

 

„Zumindest soweit, dass die Samurai die Burg zunächst erstürmen konnten, aber der Befehl gebende General hat die Erstürmung zu spät entschieden, dadurch erhielten die feindlichen Samurai auf der Burg die Möglichkeit, das Tor erneut zu schließen. Der Wachturm ist vollständig herunter gebrannt. Leider konnten sie das Feuer zu schnell lösen, so dass der Rest noch steht. Ich fürchte, dieser Kampf wird sich lange hinziehen. Die feindlichen Samurai haben ihre Burg erbittert verteidigt. Es gab viele tote Samurai. Der Burggraben war mit ihren Leichen übersät, so dass man fast trockenen Fußes hinüber laufen konnte, weil so viele Leichen im Wasser schwammen.“

 

„Um Himmels Willen, wie furchtbar. Was hat sich HOSOKAWA dabei gedacht, all diese Männer zu opfern? Jetzt muss er die Burg mitten im Winter belagern, was für ein fataler taktischer Fehler.“

 

„Das hat Atsushi von Beginn an gesagt, dass der Shôgun sich keinen ungünstigeren Termin hätte aussuchen können.“

 

„Was meinst du, wann können wir weiter?“

 

„Bitte lassen sie die Dame noch mindestens drei Tage ausruhen, dann hat sich die Wunde fast geschlossen. Sie macht sehr gute Heilungsfortschritte. Zum Glück ist sie sehr gesund und in einer sehr guten Verfassung.“

 

„Drei Tage sagt ihr, das geht gerade noch so. Wir müssen dringend nach Kyôto. Dort haben wir uns mit einer anderen Gruppe verabredet. Wir wollen zusammen über den Pass in unsere Heimat. Wenn wir es nicht in drei Tagen schaffen, dann werden wir erst Ende Januar oder Anfang Februar nach Hause können und sind in der Hauptstadt gefangen.“

 

„Es besteht noch eine andere Möglichkeit. Wir gehen mit ihnen gemeinsam und tragen die Frau jeder einmal. So kommen wir schnell voran und können auf jeden Fall in zweieinhalb bis drei Tagen in der Hauptstadt sein. Was halten sie davon?“

 

„Wenn sie das für uns tun würden Herr Abt. Das wäre nie wieder gut zu machen.“

 

„Nun, mein Freund, ich hatte ihnen schon einmal gesagt, dass wir die Pflicht haben, ihnen zu helfen, egal wer oder was sie sind.“

 

„Dann könnten wir morgen Früh los?“

 

„Ja, wir könnten die Strecke rennend zurücklegen. Meine Mönche sind darin trainiert und wenn mich nicht alles täuscht, so können sie ebenfalls extrem lange Strecken rennend zurücklegen.“

 

„Ja, das geht sehr gut. Wir werden der Dame jetzt etwas zu Essen geben, damit sie zu Kräften kommt.“

 

„Einer der Mönche hat schon eine Suppe gebracht mit Tofu und Gemüsebrühe, das wird ihre Kräfte stärken und wenn sie noch bis morgen durchschläft, dann steht der Reise nichts mehr im Wege.“

 

Atsushi packte seine Sachen zusammen und auch die anderen verstauten alles, was sie mitnehmen mussten so, dass sie nichts in den Händen zu tragen hatten. So konnten sie Yuki auf ihren Rücken nehmen und trotzdem schnell laufen. Außerdem sahen sie zu, dass man ihre Zugehörigkeit zu einem Ninja- clan nicht erkennen konnte. Sie gaben sich die größte Mühe als Bauern erkannt zu werden. Nun kam es darauf an, wie viele der Mönche mitkommen würden. Vor Aufregung schliefen  sie kaum, obwohl sie vor dem Zubettgehen noch einmal mit Wonne das heiße Bad genossen.

 

Am anderen Morgen standen zwanzig Mönche da, das hatten sie nicht erwartet. Es ging in einem sehr zügigen Tempo durch die Berge. Sie waren über die hohe Geschwindigkeit der Mönche erstaunt. Offensichtlich legten sie eine so lange Strecke nicht zum ersten Mal zurück. Einer der Mönche berichtete während des Laufens, das ihre Aufnahmeprüfung zum Yamabushi darin bestand, drei Tage am Stück ohne Essen und Schlafen durchzulaufen und das bei jedem Wetter und mitten durch das Hochgebirge. Atsushi empfand den größten Respekt vor diesen Mönchen.

 

Nach zweieinhalb Tagen kamen sie tatsächlich in Kyôto an. Am Stadtrand übergaben sie die Frau den Shinobi, die ein paar Träger anheuerten und sich auf den Weg zu Ryô und Shun begaben. Sie ließen sich am Abend bis zum Kamogawa bringen und betraten die Sakebrauerei durch den Geheimgang unter der Brücke.

 

Das Hallo war riesengroß und als sie auch noch Akatsuki gesund und munter vorfanden, freuten sie sich noch mehr. Die Nacht wurde lang. Es gab viel zu erzählt. Am anderen Morgen erwachten sie durch kräftiges Klopfen an der Eingangtür der Sakebrauerei. Fumiko, Kaori und Sayuri standen vor der verschlossenen Ladentür. Sie wussten noch nichts davon, dass die Brauerei nur noch über die Geheimtür betreten werden konnte. Shun gab ihnen ein Zeichen, dass sie über den Hof kommen sollten. Dann ließen sie die drei Mädchen ins Haus.

 

Alle fielen sich in die Arme, froh, ihr Ziel rechtzeitig erreicht zu haben. Fumiko, die bisher so stark gewesen war und sich so sehr zusammen riss, musste nun doch weinen. All die Last fiel von ihr ab. Atsushi nahm sie in den Arm und suchte sie zu trösten. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und schluchzte herzzerreißend.

 

„Alles ist gut Fumiko, das gröbste ist überstanden.“

 

„Wo ist Yuki?“

 

Shun führte Fumiko in den Raum, in dem Yuki lag und schlief. Fieber quälte sie keines mehr und die Wunde war nur noch oberflächlich offen. Shun berührte Yuki vorsichtig an der Schulter und als sie die Augen aufschlug, lächelte sie, als sie Fumikos, Kaoris und Sayuris Gesicht erkannte.

 

Am Neujahrsmorgen, den 31. Januar 1461, wollten sie sich auf den Weg nach Hause machen.

 

 

 

Shirô war der Verzweiflung nahe. Die Gruppe war bereits über eine Woche überfällig. Damit war klar, dass sie auf keinen Fall bis Ende Dezember wieder zurück sein würden. Am meisten ängstigte ihn, dass keinerlei Nachricht über den Erfolg oder Misserfolg der Mission zu ihnen durchdrang. Shirô suchte jeden Tag die Fudô- Halle auf. Er bat inständig, alle aus der Gruppe mögen gesund zu ihnen ins Dorf zurückkehren.

 

Die Kinder tobten im Schnee herum und liefen mit ihren Holzpantinen über den See. Sie juchzten und freuten sich ihres Lebens, während die Erwachsen von Tag zu Tag mit mehr Bangen daran dachten, dass die Gruppe vielleicht nie mehr wieder ins Dorf zurückkehren würde.

 

Shirô musste sich zum Glück im Rahmen der Arbeit mit Ryusei, Benten no Kami und Shichirobei für die komplizierten Visualisationsübungen voll konzentrieren. Da blieb ihm keinerlei Zeit, ständig an Yuki und Akatsuki zu denken. Selbst wenn er sich extrem konzentrierte, gelang es ihnen nicht immer, sich das vorzustellen, was Meister AKIYAMA von ihnen verlangte. Die Anforderungen an sie bezüglich der Atemtechniken setzten sie bereits gut um. Inzwischen schaffte Shirô es Wasseranteile aus der Luft zu filtern und durch seine Finger gleiten zu lassen. Es war eine große Freude, als er plötzlich feuchte Hände bekam und das Wasser seinen Arm herunter lief. Was er nur kurze Zeit beherrschte, war Wind herzustellen. Die Bewegungsabläufe dazu brachte er oft durcheinander. Benten no Kami verfügte über unglaubliche Geduld mit ihm. Was alle fünf hervorragend beherrschten, war, sich in der Meditation auf einer geistigen Ebene zu treffen und dort gemeinsam zu üben. Alle Aufgaben ausschließlich auf der geistigen Ebene stattfinden zu lassen, war eine riesige Herausforderung. Dies erforderte unglaubliche Konzentration von allen. Shichirobeis Gesundheit war wieder völlig hergestellt. An einem Tag übte Ryusei mit ihm auf dem See eine Welle nur durch Gedanken entstehen zu lassen. Das war ab diesem Tag die Attraktion schlechthin gewesen. Als im Dezember der See zufror, konnten sie nur noch mit den Schneemassen arbeiten. Shichirobeis Begeisterung kannte keine Grenzen, als er es schaffte, eine Schneewehe nur durch seinen Willen entstehen zu lassen. Es gelang ihm nur für kurze Zeit, seine eigenen Bestandteile aufzulösen, so dass er nicht mehr sichtbar war. Das war für Dewa Sanzan jedoch von großer Bedeutung.

 

 

 

Als das Neujahrsfest näher rückte und die Gruppe noch immer nicht zurück war, befand sich Shirô in arger Erklärungsnot gegenüber Shirômaru und Yuna. Die Kinder blickten ihn mit riesigen traurigen Augen an und konnten ihre Tränen kaum zurück halten. Die Frauen aus dem Dorf stellten für die Kinder Mochiküchlein her, die nun auf dem Tisch standen, aber keiner der Kinder wollte sie anrühren. Aya und Asuka saßen betreten am Erdfeuerofen und konnten nicht so recht in eine Neujahrsstimmung gelangen.

 

Shirô reinigte gemeinsam mit Aya und Asuka ein paar Tagen vor dem neuen Jahr das Haus. Mit Räucherstäbchen verwandelte Aya das Haus in ein Meer aus Düften. Sie aßen oft stumm ihr Abendessen, obwohl jeder mit seinen Gedanken bei den Menschen war, die sich vielleicht unter den schwierigsten  Bedingungen auf dem Weg nach Hause befanden.

 

 

 

Das Neujahrsfest war seit drei Tagen Geschichte, als Shun, Ryô und die ganze Gruppe der Shinobi, die zu ihrem Auftrag zur Burg Dakeyama aufgebrochen waren, endlich bei ihnen im Dorf ankamen. Jeder kam angelaufen, um sie in Empfang zu nehmen. Es war ein großes Hallo und jeder stellte die gleichen Fragen.

 

Alle Reisenden waren hochgradig erschöpft, denn auf ihrer Reise hatte es kräftig angefangen zu schneien, so dass der Ochsenkarren öfter stecken blieb. Shun hatte in den Bergen Ängste ausgestanden, weil er befürchtete, dass der Karren abstürzen könnte. Der Karren war voll mit wichtigen Lebensmitteln, Stoffen, Sake und Waffen beladen. Aber nun waren sie endlich angekommen und alle gesund und munter. Auch Yuki ging es wieder gut, bis auf die Tatsache, dass sich quer über den rechten Oberarm eine dicke Narbe zog.

 

Shirô schrieb  im Spätherbst, als die Gruppe loszog, ein Gedicht, das er Yuki nun auf den Futon legte, damit sie es fand, wenn sie schlafen gehen wollte:

 

 

 

Sieh nur Geliebte,

 

den Mond wollte ich dir zu Füßen legen,

 

nun schimmert sein silberner Schweif

 

auf dem See

 

 

 

Auch für Aya schrieb er ein Liebesgedicht, das er ihr eigentlich zum Neujahrstag schenken wollte, aber da die Stimmung so gedrückt war, nahm er davon Abstand. Nun, da alle wieder anwesend waren, sah er eine Möglichkeit, sein kleines Geschenk doch noch los zu werden und legte dieses Gedicht ebenfalls auf ihren Futon:

 

 

 

Winterlicher Mond

 

am sternenklaren Himmel,

 

sehnsuchtsvoller Blick

 

 

 

Alles hatte sich zum Guten gewendet. Ehe er sich zu den anderen ans Feuer setzte, und sich von ihren Abenteuern erzählen ließ, ging er zum Fudô- Tempel und dankte Fudô Myôô, dass er seine Wünsche erhörte und alle wieder gesund nach Hause brachte. Dann lief er eilig zurück zu seinen Kindern und Frauen, zu seiner Familie.

 

Diese Nacht verbrachte er erneut mit seinen beiden Frauen und war glücklich über ihre Freude, dass sie sich alle wieder in die Arme schließen konnten. Aya und Yuki saßen an der halb offenen Shôji, hielten die von Shirô verfassten Gedichte in ihren Händen und lächelten geheimnisvoll in den sternenklaren Himmel. Als Shirô seinen Schlafraum betrat schauten sie ihn an, verneigten sich in Ehrfurcht vor ihm und sagten wie aus einem Mund: „Wir danken euch mein Gemahl für dieses wunderbare Geschenk, das uns einen tiefen Einblick in eure Gefühlswelt gestattet. Es ist uns eine Ehre, euch heute Nacht glücklich zu machen.“

 

Shirô trat einen Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände.

 

„Oh, nein meine Damen, ich bin ihnen gern einzeln zu Dienste, aber nicht noch einmal beide zur gleichen Zeit. Bitte haben sie Erbarmen, ich bin durch das Training mit Ryusei, Shichirobei und Benten no Kami sehr ausgelaugt. Ich habe in den letzten Tagen viel mit den Kindern Zeit verbracht, um dir, Aya, den Rücken frei zu halten. Außerdem bitte ich sie, meine Damen, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich in die Jahre gekommen bin. Das Alter geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich muss meine Kräfte aufsparen. Du meine liebe Aya wirst bald Mutter sein und glaube mir, das wird für uns beide nicht einfach, da kannst du Yuki fragen, wie anstrengend das wird. Und du liebe Yuki, hast gerade noch einmal die Diskussion über Leben und Tod für das Leben entschieden, du solltest dich schonen, um wieder völlig gesund zu werden.“

 

Die beiden Frauen schauten sich an und prusteten los. „Selbstverständlich, lieber Gemahl, wie ihr befehlt“, sagten sie und verbeugten sich bis zum Boden.

 

Shirô schnaubte und sagte: „Ich glaube, wir sollten einmal ein paar gemeinsame Trainingseinheiten mit dem absolvieren, wenn sie zu viel Energie haben. Sie sollten nicht austesten, wie weit meine Geduld reicht.“

 

Yuki stand auf und eilte zu ihm. „Es tut mir leid Shirô, wir wollten den Scherz nicht auf die Spitze treiben. Es war wirklich nur ein Scherz, aber wie ich sehe, hast du das sehr ernst genommen. Ich weiß, wie sehr du um unser Wohl besorgt bist. Ich kenne keine Frau aus dem Dorf, die glücklicher ist als wir beide. Du sorgst für uns und du gibst uns die Freiheit unser Leben so zu leben, wie wir es möchten. Wer von den Damen da draußen kann das von sich behaupten.“

 

Sie schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn vorsichtig auf die Wange. Shirô nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Er legte seinen Kopf auf den ihren und schloss seine Augen, dann flüsterte er ganz leise, so dass nur sie es verstehen konnte: „Ich hatte so furchtbare Angst um dich Yuki. Es war eine schlimme Zeit für mich. Sie hat mir gezeigt, wie sehr ich dich brauche.“

 

Aya schaute hinaus in den Garten, der erste Schnee war gefallen und deckte alles zu. Der Schein der Laterne glitzerte in den Kristallen. Sie merkte nicht, dass sich Shirô ihr von hinten näherte. Shirô staunte, wie gut er das von Ryusei erlernte bereits umsetzen konnte. Er kniete sich hinter Aya und umschlang ihren kugelrunden Leib. Er küsste ihren Nacken. Sie legte ihren Kopf zurück an seine Schulter. „Geht es dir gut, mein Liebes? Fühlst du dich wohl?“, fragte er und seine Hände rutschten nach unten auf ihren Leib, der das Kind barg. Kohaku legte ihre kleine Hand von innen gegen die große Hand ihres Vaters. „Ja, meine Kleine, bald werden wir Hand in Hand durch die Wälder streifen und gemeinsam den Mond anschauen, wenn du größer bist“, dachte er und küsste Aya auf die Stirn. Yuki setzte sich wieder neben die beiden und alle Drei schauten glücklich auf die Millionen Sterne am Firmament.

 

 

 

Nachdem Shirô gemeinsam mit Shichirobei bei ihrem mentalen Training gut vorankamen, konzentrierten sie sich wieder mehr auf das körperliche Training. Nach wie vor trainierten sie gemeinsam mit den Kindern am Wasserfall. Auch Takeru und Ryô gesellten sich zu ihnen. Der vereiste Wasserfall bot nun neue Möglichkeiten, Balance, Schnelligkeit und Kraft zu trainieren. Das -Training bei Eis war eine neue Herausforderung und brachte viele blaue Flecken ein.

 

Shirô beobachtete mit zunehmender Sorge das Verhalten seines Vaters. Er war viel in sich gekehrt und schien manchmal unaufmerksam zu sein. Er nahm sich vor, mit ihm das Gespräch nach dem Training zu suchen.

 

In einer Pause saßen Ryô und Shirô eng beieinander. Ryô schob ihm den Brief der Fuji no hana in dessen Innentasche. Shirô wollte schon danach greifen, doch Ryô hielt ihn zurück.

 

“Später mein Freund, später!“, sagte er und erhob sich, um mit dem Training weiter zu machen. Der kleine Akatsuki trainierte mit Shirômaru. Die beiden Jungen waren so glücklich miteinander, dass sie oft die Köpfe zusammen steckten. Shirô beobachtete seinen Adoptivsohn und sah seine glücklichen strahlenden Augen.

 

„Vater! Chichiue! Pass auf! Ki wo tsukete!“, schrie Shichirobei und konnte den gerade noch so vor der Schläfe seines Vaters stoppen.

 

„Du bist nicht bei der Sache Shirô! Möchtest du eine Pause?“

 

„Entschuldige, ich war für einen Moment abgelenkt, ich habe die beiden Grashüpfer da beobachtet. Entschuldige!“

 

„Nun, es ist ja alles gut gegangen. Ich bin erstaunt, wie das mentale Training sich auf die Wahrnehmungsfähigkeit auswirkt. Ich kann deine Gedanken fühlen und mich darauf einstellen.“

 

„Ja, ich habe das Gefühl, ich weiß was du als nächstes tust. Ich muss Ryusei dazu befragen.“

 

„Seid ihr jetzt zum Quatschen hier oder zum Trainieren, meine Herren?“, schnaubte Ryûtaro und schaute grimmig drein. „Heute Nachmittag werden wir in der Übungshalle trainieren, da könnt ihr auch die Damen zum Tee einladen. Und bringt bitte auch euren Kopf mit und nicht nur den Rest eures Körpers!“

 

Shirô zog den Kopf ein, so wütend hatte er seinen Vater schon lange nicht mehr erlebt. „Was war nur los mit ihm?“

 

Shichirobei und Shirô prügelten mit ihren langen Holzstöcken auf sich ein. Schläge, Blöcke, Stöße, Blöcke – alles in unglaublicher Geschwindigkeit, so dass man als Außenstehender das Gefühl hatte, die Bewegungen des in einem einzigen, geschlossenen Kreis zu sehen. Aufgrund der gleichmäßigen Bewegungen gerieten sie plötzlich in einen Trancezustand. Die Augen der beiden waren pechschwarz und einem Spiegel gleich. Shirô sprang über Shichirobei hinweg, der sich in unglaublicher Geschwindigkeit um sich selbst drehte und die Schläge und Stiche von Shirô blockierte. Dann griff Shichirobei an, schlug in Richtung Shirôs Kopf, der sich duckte und mir dem in der Hand wegrollte. Sofort holte er mit dem aus und schlug Shika die Beine weg. Dass da unter ihnen gefrorene Feldsteine lagen, schien ihnen offenbar völlig egal zu sein. Shichirobei schaffte es gerade noch, wieder nach oben zu springen und erwischte Shirô an der Fußsohle. Shichirobei nutzte den Stab, um auf eine Stufe weiter unten des Wasserfalls zu springen. Er drückte sich ab, nahm den mit und landete auf einem der größeren Feldsteine. Shirô sprang hinterher und attackierte Shika schon aus der Luft heraus. Shika hörte ihn kommen und spürte den Luftzug. Ohne ihn zu sehen, wusste er genau, wo sich Shirô befand. Kurzer Hand stieß er den über sich nach oben und erwischte erneut einen Fuß von Shirô, so dass er ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er war gezwungen, mit einer Rolle seinen Sturz abzufedern. Er rollte bis an den Rand des zu gefrorenen Beckens, drückte sich mit dem Rücken wieder nach oben und stand in Kampfposition bereit, den nächsten Angriff abzuwehren.

 

Yame!“, brüllte Ryûtaro.